Um ein ähnlich spritziges Roadmovie wie den erst kürzlich an
dieser Stelle besprochenen Roman Tschik
sollte es sich bei diesem Büchlein handeln. Diese Hoffnung hat sich zwar nicht
erfüllt, doch gerade die leiseren Töne und farbigen Nuancen, welche die Sinne
des Lesers anregen, während dieser mit auf die Suche nach der verschwundenen Ana
geht, machen diesen ersten Roman des jungen Autors Andreas Stichmann so
lesenswert.
Als kleiner Bonus zur Erzählung über die aus dem Iran
stammende Ana und ihren Freund Rupert, dem Ich-Erzähler, wird das hierzulande immer
noch total verkannte Land Iran in ein völlig neues Licht gerückt. Hier ist nicht
von israelfeindlichen und islamistischen Bartträgern die Rede, sondern von
kurzberockten, tanzenden Mädchen, einem mystischen Derwisch und ganz normalen,
freundlichen Menschen voller Sehnsüchte, wie auch ich sie im Iran kennen lernen
durfte. In dieses unbekannte Land nämlich reisen Rupert und sein auf den ersten
Blick etwas seltsamer Freund und Fast-Bruder Robert, der im Laufe der Handlung
noch seine Qualitäten offenbaren wird. Was wiederum äußerst gefühlvoll und
unglaublich ehrlich, ja fast bewundernd vom bis dahin so souveränen und
überlegenen Protagonisten zur Kenntnis genommen und uns staunend mitgeteilt
wird. Im Iran nämlich suchen die beiden Provinzler nach Ana, die nach einer
wilden Party einfach verschwunden und angeblich bei ihrer dort im
kommunistischen Untergrund lebenden Mutter untergetaucht ist. Bezeichnend für
den unbedingten Modernitätswillen der Iraner ist dann die Stelle, als Abu, bei
dem die Jungs in Teheran unterkommen, um jeden Preis die Mutter der
Neuankömmlinge via Skype auf den großen Flachbildschirm zaubern will. Schließlich
ist die Familie eines Menschen nach morgenländischer Sichtweise das Wichtigste
überhaupt. Und so ist es für Abus einfach unvorstellbar, dass es in Deutschland
auch nur eine einzige Frau geben könnte, die nicht mit dem seligmachenden
Internet verbunden ist.
Bevor es jedoch so weit ist, rauben Rupert und Ana
Tankstellen aus, quartieren sich in einem Berliner Abrisshaus ein, werden für
kleine Kunst- (bzw. Porno-) Filmchen herangezogen und stellen fest, dass sie
trotz all ihrer Liebe zueinander nach unterschiedlichen Glücklichmachern
suchen. Während Ana mit ihrem Freund nach Teheran trampen will, reift in Rupert
der Traum von einer richtigen kleinen Familie mit Wohnung, Kind und
Frühstückstisch, wie er sie nie wirklich kennen gelernt hatte, heran. Deutlich
wird ihm dies so richtig, als er in der Absicht auf dicke Beute mit einer Browning im Holster in eine Wohnung einsteigt und sich
unvermittelt in einer kleinbürgerlichen Idylle wiederfindet, in der ihn „… dieser angenehm dumpfe Geruch, die kühle
Aura nasser Wäsche im Dunkeln“ umhüllen, ebenso wie die aus der Küche
dringende klassische Klaviermusik. Hier identifiziert er sich mit dem kleinen
Jungen, den er beobachtet und der mitten in der Nacht aufs Klo geht. Jeder
kennt wohl das hier so wunderschön poetisch beschriebene Gefühl, das man nach
erfolgreichem nächtlichen Toilettengang empfindet: „…eine Vorfreude in den Knien und Beinen, ein richtiges Glück in den
Gelenken, dass man sich gleich wieder hinlegen kann.“ Selbiges tut unser
Held nun auch, um dem kleinen Jungen durch sein abruptes Auftauchen im Korridor
nicht ebendieses Gefühl zu nehmen, und so legt er sich kurzerhand auf die
verwaiste Wohnzimmercouch. Dort erwacht er erst, als am nächsten Morgen bereits
alle Vögel ausgeflogen sind und er unbemerkt entkommen kann.
In einer anderen Szene, Rupert raubt gerade mit einem
russischen Obdachlosen zusammen die Passagiere der U-Bahn aus, denkt er darüber
nach, dass er es geradezu befürwortet, dass die „bürgerliche Kleinfamilie ignorante Menschen heranziehe“. Niemand habe
ein so großes Herz, dass er alle Menschen lieben könne (mit Ausnahme des
ehemaligen Stasi-Chefs Mielke natürlich) und immerhin liebten diese Familien
sich wenigstens selbst. Das ist doch auch mal eine ermutigende Sichtweise auf
unser egoistisches Miteinander im kapitalistischen Realismus! Rupert jedenfalls
fühlt sich als nicht dazugehörig und wünscht sich sehnlichst, mit Ana endlich
nicht mehr „draußen“ zu sein.
Diese reifen Betrachtungen seiner Umwelt sind es, die den
jungen Mann und seine kurzweilige Geschichte so angenehm werden lassen, dass
man Lust auf mehr Stichmannsche Lektüre bekommt. Sie entspricht so gar nicht
dem Zeitgeist, redet dem Volke nicht nach dem Maul und beinhaltet doch immer
einen wahren Kern.
Bei all diesen sentimentalen Grübeleien, an denen uns Rupert
hier teilhaben lässt, sind die immer wieder eingebauten Fallen genauso
faszinierend, wie die Gedanken selbst. Jeder Leser wird mehrfach in eine solche
tappen, wenn er erst vom Autor auf eine romantische Fährte gelockt wird und sich
dann mit dem nächsten Satz unversehens in der zugeschnappten Falle wiederfindet.
Dann fühlt man sich ertappt, wie z.B. als Rupert auf dem Friedhof am kaspischen
Meer sinniert: „Der sich schließende
Kreis. Das Gefühl, genau an diesem Punkt stehen zu müssen, um genau hier und
jetzt Frieden mit meiner Mutter zu schließen. Der große Friedhofsmoment also.
Den ich in keiner
Weise empfinde.“
Irgendwann während seiner Suche wird Rupert, der Ana
wirklich abgöttisch liebt und gleich den meisten Liebenden nach Erwiderung
dieser starken Gefühle giert, bewusst, dass er für sie zwar ein guter Freund
war, dass aber „…Ana und ich uns
wahrscheinlich nie so nah waren, wie ich dachte.“ Welch schmerzliche
Erkenntnis! Da hilft es dann auch nur bedingt, die Tulpen auf Anas Postkarte
aus Holland als hässlich und die Windmühle als langweilig zu bezeichnen. Doch
ist dies immerhin ein legitimer Versuch, nicht ständig an den
Verlust seiner großen Liebe zu denken: „Es
reicht, wenn ich nachts
darüber nachdenke, nicht auch noch am Tag.“
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